Blausternchen & Elfenschlüssel

Frühlingszauber im Allgäu:
Kneippkur – Teil 3

In Bad Clevers zeigt sich die Natur zaghaft und voller Anmut. Zwischen trockenem Laub und erstem Grün habe ich ein Rendezvous.

 

Es ist früher Nachmittag, als ich von einem kurzen Waldspaziergang zurückkehre. Schon wirft die Sonne ihr langes Licht auf das Gras. Ich gehe langsam über die Wiesen und achte darauf, dass ich nichts Wertvolles zerstöre. Denn der Wechsel aus Regen und Sonne hat die Natur erweckt. Erste Frühlingsblüher stecken ihre Köpfe heraus – vor allem im kleinen Park von Bad Clevers.

Die Wiese hinter unserem Haus ist anders. Keine sorgfältig gemähte Fläche. Sie hat ihr ganz eigenes Herz. Und genau dort, wo es stärker zu schlagen scheint, breitet sich um einen Baum ein Teppich von Blausternchen aus. Sie stehen zart und dicht beieinander. Ihr tiefblauer Schimmer wirkt wie der Farbmix einer launischen Künstlerin. Diese kleinen Sterne im Gras sind nicht zu übersehen. Frische Boten der Hoffnung. Sie zeigen mit ihrer zarten Schönheit in voller Stärke, dass das Leben immer wieder anfängt – auch wenn noch Frost im Boden sitzt.

Ich beuge mich zu den Blausternchen herab und lege behutsam meine Hand aufs Blütenmeer. Es raschelt leise. Der Herbst hat noch ein paar Blätter dagelassen. Sie zerfallen beim kleinsten Windstoß und ihre braunen Überreste sind in diesem unendlichen Blau der Blüten kaum mehr zu sehen. Der Frühling übernimmt gerade die Regie und ich habe ein Rendezvous mit der Natur.

Narzissen: Der Mythos der eitelsten Frühlingsblume

Bienen summen und einige Osterglocken erheben stolz ihre Köpfe über den Blausternchen. Sie sehen ein bisschen eitel aus und ich denke an die Geschichte von Narziss, dem Jüngling, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. Er starb und wurde zur Blume, zur Narzisse. Diese Selbstverliebtheit, die Eitelkeit und Einsamkeit sehe ich den strahlend gelben Osterglocken an.

Weiter hinten am Hang hat sich trockenes Laub gesammelt. Doch es wird dort nicht mehr lange liegen. Dicht an dicht drängen sich rosafarbene Nesselblüten, als ob sie sich von den ausgelaugten Blättern nähren würden. Dazwischen nicken Schneeglöckchen mit gesenkten Köpfen, leise und höflich. Diese bescheidenen Blumen haben keine Aufmerksamkeit nötig. Sie sind einfach da – wie immer, wenn der Winter geht.

Die Magie der Schlüsselblume

Und dann sehe ich sie. Die Himmelsschlüsselchen. Zart und doch voller Kraft. Ihre dottergelben Blüten sitzen in kleinen Dolden, als hätte jemand ein Miniatur-Sonnenrad auf einen grünen Stängel gesteckt. Der Kelch ist samtig, fast flaumig. Der Stängel ist leicht gebogen, als würde sich die Blüte lieber neigen, als ihre Schönheit zu zeigen. Diese wundervollen wie seltenen Blumen sehen auf den ersten Blick unscheinbar aus. Aber sie sind kleine Kraftwerke.

Bereits im Altertum und Mittelalter nutzte man die Heilkraft der Himmelschlüsselchen gegen Husten, Unruhe, sogar Herzklopfen, braute aus Wurzeln und Blüten Tee. Heute gibt’s den Tee praktisch verpackt in Apotheken. Er lindert die Entzündung der Nasennebenhöhlen und vieles mehr. Sebastian Kneipp würde es genau wissen. Schließlich sammelte er in Bad Grönenbach erste Erfahrungen mit Heilkräutern. Beneidenswert, diese Kenntnisse in der Naturheilkunde.

Man sagt, dass es die Lieblingsblumen der Elfen sind und deshalb auch Elfenschlüssel genannt werden. Die Elfen wissen, dass diese Blumen eine schützende Wirkung haben. Wer sich in ihrer Nähe aufhält, wird mit Schönheit beschenkt. Das kann ich nur bestätigen: An diesem Nachmittag sehe ich eine natürliche Schönheit, die unvergleichlich ist. Das frische Leben stimmt mich froh.

Um die Schlüsselblumen ranken sich aber noch andere Sagen. So liebte etwa die nordische Göttin Freya diese Blumen. Die Göttin der Liebe und des Frühlings soll stets einen goldenen Schlüsselbund bei sich getragen haben, mit dem sie geheime Türen öffnen konnte. Als sie einen der Schlüssel verlor, fiel er zur Erde und wurde zur Blume. Seitdem blühen sie dort, wo das Magische ganz nah ist: die Schlüsselblumen. Sie werden im Volksmund ob ihrer Ähnlichkeit mit einem Schlüsselbund auch Himmelschlüsselchen genannt. Primula veris, die Primelgewächse, stehen unter strengem Naturschutz. Pflücken ist also verboten. Ist auch gut so, sonst würden die Elfen weinen.

Blühwiesen – stille Kraftorte der Natur

Mein Blick geht Richtung Himmel und ich denke an die Blühwiesen, die ich auf meinen Ausflügen im Allgäu gesehen habe. Es sind nicht nur unsere Wiesen hier in Bad Clevers. Auch an vielen anderen Plätzen breitet sich diese natürlichen Frühlingswunder aus – gelb, violett, weiß, blau. Als wollte die Landschaft nach einem Winter und grauen Regentagen sagen: Ich bin noch da.

Lange bleibe ich stehen. Schaue. Atme. Lausche.

Heute ist nichts Spektakuläres passiert. Kein großer Moment. Nur ich, die Wiese, und diese stille Ahnung, dass genau jetzt alles richtig ist. Dieses Rendezvous mit frischem Leben genieße ich in vollen Zügen.


Das Kneippkur-Tagebuch

Teil 1: Mit jedem Kneippguss weniger Ballast weiterlesen
Teil 2: Die 5 Säulen der Kneippschen Lehre
weiterlesen
Teil 3: Blausternchen & Elfenschlüssel
Teil 4:
Bad Grönenbach weiterlesen
Teil 5: Erlebniswanderung
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Katrin Fiedler, geschrieben und fotografiert am 10. März 2025.

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Bad Grönenbach: kleiner Ort, große Wirkung

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Die 5 Säulen der Kneippschen Lehre