Paris, mon amour

Ist sie nicht charmant, diese Unbekannte? Sie sitzt entspannt auf dem Marché aux Puce in Paris und macht Lust, im Vintage-Laden zu stöbern.

 

Die Kellnerin nimmt meinen Zeigefinger, fährt mit mir über die Speisekarte, Zeile für Zeile – und prononciert. Mit dezent geschminkten Lippen formt sie jedes Wort. Es klingt warm und hat eine sexy Melodie. Mein Mund bleibt stoisch geschlossen. Ihre Augen blitzen verschwörerisch. Meine blicken nach unten, denn ich soll ihr nachsprechen. Französisch üben.

Am Nachbartisch klirren sanft zwei Weingläser. Gegenüber sitzt ein Mann im langen Ledermantel und um die Ecke biegt geschmeidig ein Nadelstreifenanzug. Willkommen im „Au Petit Navire” („Auf dem kleinen Schiff”). Bitte Platz nehmen in einem der beliebten Bistros auf dem noch beliebteren „Marché aux Puces de Saint-Ouen”, dem größten Flohmarkt von Paris!

Es ist Mittagszeit, die Sonne strahlt, und eine bunte Schar hungriger Gäste sitzt vorm kleinen Eckrestaurant. Damen, die ihre Shoppingtour unterbrochen haben und in ihren cognacfarbenen Markentaschen made by Louis Vuitton nach Trinkgeld nesteln. Geschäftsmänner in gepflegtem Zwirn. Luden, denen die vergangene Nacht noch in den Augenwinkeln hängt. An deren Armgelenken viel zu große Golduhren blitzen. Sie alle sind gekommen, um Mittag zu essen. Déjeuner (Mittagessen) „Auf dem kleinen Schiff”.

Schwankend läuft ein Kellner mit vollbeladenem Tablett aus der Tür. Die Lust, die frischen Speisen zu servieren, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Mittags brummt der Laden. Nur Touristen sind rar. Klar, wir leben in einem Ausnahmezustand: Noch ist Pandemie. Reisende sind verunsichert. Ich bin es nicht. Auf dem Weg in die Bretagne lege ich in Frankreichs Hauptstadt einen kurzen Zwischenstopp ein. Für den Heimweg ist ein zweiter Besuch in Paris geplant. Nicht ohne Kalkül.


Oh Paris

Oft war ich hier. In diesem ganz besonderen Herbst jedoch möchte ich einmal die Metropole, die so malerisch an der Seine liegt, entspannt betrachten. Nicht mit Touristenströmen von einem Höhepunkt zum anderen fließen. Es gelingt mir und der Anfang ist hier – auf einem der weltgrößten Flohmärkte, im „Au Petit Navire” (116 Rue des Rosiers).

Mein Appetit (auch ein französisches Wort) steigt und mit ihm der Ehrgeiz der Serveuse (Kellnerin). Jetzt möchte sie auch noch, dass ich die Weinkarte laut vorlese und lacht fordernd. Eigentlich wollte ich doch nur Fisch bestellen. Eine einfache Speise. Die soll es hier geben im „Au Petit Navire”. Sagen die Einheimischen. „Der Weg ist das Ziel”, denke ich und spreche unbeholfen die französischen Worte. Jetzt lächelt sie zufrieden, die Serveuse vom „Au Petit Navire”, und wie durch Zauberworte öffnet sich die Tür zur Küche; ploppt der Korken der Weißweinflasche meiner Wahl. Mit schwingenden Hüften und aufrechtem Haupt serviert wenig später die Parisienne meine Bestellung. „Effortless Chic”, denke ich und bewundere ein wenig ihre lässige Eleganz. Und sie sagt irgendwelche Sätze, die mit „Chérie” enden. Ich blinzle der Frau über den Glasrand zu, nippe am Weißwein – französische Reben, versteht sich – und fühle mich wie eine Schwester im Geiste. Oh Paris, mon amour.


Der Flohmarkt von Saint Quen

Manche sind Trödler. Sie verkaufen Vintage-Mode, alte Schallplatten, Drucke. Andere handeln mit Antiquitäten, feinsten Möbeln aus Echtholz, mit oder ohne Intarsien, allesamt aus den verschiedensten Epochen. Wer mag, wählt das passende Essgeschirr dazu, inklusive Suppenterrine.

Die Händler haben ihre Läden auf diesem großen Flohmarkt. So unterschiedlich auch ihre Ware ist, eines vereint sie: Die Kaufleute sind berufliche Nachfahren von Lumpensammlern. Denn sie waren die ersten auf diesem Platz, die sich um 1870 hier niederließen. Es ist überliefert, dass etwa 11.000 Lumpensammler Ende des 19. Jahrhunderts bis zu 79.000 Kilo Ware umsetzten. Oh, là là!

Der „Marché aux Puces de Saint-Quen“ ist riesig. Er gilt als der berühmteste Flohmarkt der Welt. Auf bis zu 70.000 Quadratmetern verteilen sich mehr als 3.000 Stände.

Was darf’s denn sein? Eine Jukebox aus den 50ern oder doch lieber eine Schallplatte? Eine aktuelle Aquarell-Abbildung des Pariser Seine-Ufers oder ein alter Kupferstich? Die Versage-Bluse oder ein antikes Leinenhemd? Wer Zeit mitbringt und entspannt stöbert, kann das eine oder andere Schätzchen zwischen all den Angeboten bergen und sollte am Ende kräftig handeln. Auch ein Bummel zahlt sich augenscheinlich aus: Zu schön sind die Dekorationen in und vor den Läden. Am Ende kommt mir der Ruf meiner Mama „Trödel nicht so” in den Sinn. Sie sagte es, wenn ich vor mich hin träumte. Nördlich der Pariser Stadtgrenze, in Saint Quen, weiß ich einmal mehr, dass es sich lohnt, zu trödeln!


Eiffelturm, Champs-Élysées & die Magie des Louvre

Weiter geht’s durch Paris. Am Abend auf den leuchtenden Eiffelturm (330 Meter, mit Antenne). Auch hier hält sich die Schlange der Wartenden in Grenzen. Sie alle – wie auch ich – haben Zeitfenster-Tickets für eine Besichtigung gebucht. So kommt man sich in Zeiten hoher Ansteckungsgefahr nicht zu nahe, wohl aber hoch hinaus. Nie habe ich auf DEM Wahrzeichen von Frankreichs Hauptstadt gestanden. Deshalb nimmt mir der 360-Grad-Blick aufs Lichtermeer jetzt etwas den Atem. Ich lächle in die Nacht hinein und bin glücklich.

Fehlt noch was? Ein wenig Kunst vielleicht? Am nächsten Tag ist auch noch Zeit. Am Anfang der Élysées steht völlig verändert der Arc de Triomphe. Christo und Jeanne-Claude haben das Monument mit 25.000 Quadratmetern blau-silbrigen Stoff und 3.000 Metern roter Kordel umhüllt. Ein wenig grübel ich darüber nach, was dieses Kunstprojekt „L’Arc de Triomphe, Wrapped” soll und was es wohl kostet. Am 3. Oktober wird der Mummenschanz vorbei sein. Den Arc de Triomphe werde ich dann in seiner originalen Pracht sehen.

Zeit, zum Schaufenster-Shopping. Vom Torbogen führt der elegante wie luxuriöse Champs-Élysées zu namhaften Salons. Es wird ein ausgedehnter Bummel. Er führt am Ende entlang der Seine weiter zur majestätischen Kathedrale Notre-Dame. Sie ist nur von außen zu betrachten. Noch wird nach dem verheerenden Brand an ihr gebaut. Bald aber öffnet sich das Gotteshaus wieder für die Besucher.

Und natürlich steht auch der Louvre auf dem Programm. Magisch zieht mich der Bau, der Mittelalter, Renaissance, Klassizismus und Moderne vereint, an. Vor allem aber beherbergt er das Bildnis einer ganz besonderen Frau. Und das will ich sehen, wenn ich durch Ieoh Ming Peis (chinesisch-amerikanischer Architekt) entworfene Glaspyramide in die Galerie eintrete.


Mona Lisa: Der berühmte Diebstahl aus dem Louvre

Wie sie lächelt, die Mona Lisa. Das tut sie in diesem Pandemie-Herbst nur für mich. Sie muss es gewusst haben, dass ich wiederkehre. Schließlich konnte ich beim letzten Mal nicht ihren berühmten Blick erhaschen. Zu viele Menschen sammelten sich staunend vor dem berühmten Gemälde.

77 mal 53 Zentimeter Schönheit in Öl. Leonardo da Vinci malte etwas Großartiges, was jedoch viel zu klein ist für Scharen von Touristen. Die Dame soll übrigens eine Florentinerin gewesen sein. Wohl auch deshalb stahl Vincenzo Peruggia 1911 das Gemälde. Kurzzeitig verdächtigte man Picasso des Raubes. Doch Peruggia, der italienische Maler, war es. Er wollte das Meisterwerk ins Heimatland bringen. Beim „Kasse machen” wurde er erwischt, Mona Lisa kam zurück in den Louvre und fortan wollten Kunstbegeisterte sie sehen. Denn erst durch den Raub wurde ihr unergründliches Lächeln weltberühmt. Endlich, endlich konnte auch ich einen Blick auf dieses großartige kleine Gemälde erhaschen.

Und danach? Von Kunst kann ich in Paris noch immer nicht genug bekommen und suche das berühmte Künstlerviertel von Paris.


Künstlerviertel Montmartre: Wer den Hügel besteigt, sieht die weiße Basilika Sacré-Cœur.

Montmartre: Künstlerparadies über den Dächern von Paris

Früher trafen sich auf dem Place du Tertre Künstler wie Picasso, van Gogh oder Dali. Montmartre war ihr Viertel und ist auch heute noch ein Fleck für Künstler. Selbst an einem verregneten Herbsttag, wenn ich durch das Viertel der Bohème schlendere, die engen Gassen, kleinen Cafés und noch kleineren Restaurants sehe, liebe ich diesen Hügel. Nur 130 Meter hoch ist er, aber oho.

Über den Dächern von Paris thront die Sacré-Cœur. Die weiße Basilika ist ein weiteres Wahrzeichen von Paris. Der Ausblick vom Hügel über die Stadt ist unschlagbar. Dennoch lohnt es sich, übers Kopfsteinpflaster wieder hinab zu bummeln und fast Verborgenes zu entdecken. Zum Beispiel an der Rue des Saules einen kleinen Weinberg mitten in Paris. Zu besichtigen ist der „Clos Montmartre” nicht. Aber von der Straße aus bietet sich ein guter Blick. Und Wein, den trinkt man halt im Restaurant. Mein Tipp: Einfach bummeln und kleine Restaurants finden. Unbedingt reservieren und genießen! Das Prinzip ist meist ganz einfach: Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Die Franzosen freut’s. Sie frequentieren diese kleinen Genuss-Oasen regelmäßig. Plätze sind also rar. Wer einen ergattert, kann auf authentische Küche hoffen.

Montmartre: Einst standen in diesem Viertel viele Windmühlen. Die „Moulin de la Galette”, 83 Rue Lepic, ist heute noch erhalten. Renoir hat sie gemalt, auch Toulouse-Lautrec und viele andere Künstler. Wo sich einst die Flügel drehten, drehen sich heute Kellner um die Tische. Denn hier ist jetzt das Restaurant „Le Moulin de la Galette” ansässig. Serviert wird – was sonst – französische Küche.

Und noch eine berühmte Mühle gibt es. Sie hat eindrucksvolle roten Flügel. Das legendäre „Moulin Rouge” beheimatet ein weltberühmtes Kabarett und ist das Haus des Can-Can-Tanzes. Weil es längst noch nicht aller Tage Abend ist, kehre ich hier nicht ein. Vielmehr zieht es mich ins „Café Deux Moulins”,15 Rue Lepic. Der Name heißt übersetzt „Zwei Mühlen”. Schließlich sind das „Moulin Rouge” und „Moulin de la Galette” ganz in der Nähe. Aber bekannt ist das Café vor allem für seine klassische französische Bistroküche. Wie schön wäre es, wenn keine andere als Audrey Tautou sie servieren würde. Denn für den Film „Die fabelhafte Welt der Amélie” arbeitete die Actrice genau hier – als Kellnerin. Und sie verlieh der Hauptperson, Amélie, ihr zauberhaftes Lächeln. Das, so ist meine Meinung, muss sich nicht hinter dem der weltberühmten Mona Lisa verstecken.


Schloss Versailles: Barocker Prunk, Geschichte und königlicher Glanz hautnah erleben

Etwa 20 Kilometer außerhalb von Paris steht das gigantische barocke Schloss Ludwig XIV. Erreichbar ist Versailles in nur 30 Minuten bequem mit dem Zug RER C. Tickets und damit auch Zeitfenster für den Eintritt können auf der offiziellen Internetseite gebucht werden.

Auch hier ist in diesem Herbst reichlich Platz. Keine Menschenseele spaziert durch die Gärten von Versailles. Auch wenn die Fontänen noch nicht sprudeln, ist der Anblick dieser voluminösen Anlage beeindruckend. Vielleicht, weil in diesem Schloss Geschichte geschrieben wurde. Schließlich beendete der hier unterzeichnete Versailler Vertrag den 1. Weltkrieg. Viel früher jedoch verließ der König mit einer Frau Marie Antoinette das Schloss – nicht ganz freiwillig. Das war am 6. Oktober 1789. Die Französische Revolution beendete seine Dekadenz. Ludwig XVI. wurde „Bürger Louis Capet”. Nicht lange musste der König mit seinem neuen Dasein hadern. 1793 wurde er durch eine Guillotine enthauptet.

Wie der Adel rund um Ludwig XVI. in Saus und Braus lebte, während das Volk zur Ader gelassen wurde, sehe ich auf Schloss Versailles. Noch heute ist der Spiegelsaal der prächtigste und auch der berühmteste Raum des Schlosses. Wo einst die Monarchie glänzte, spiegel ich mich heute in den unzähligen Glasflächen. Denn im berühmten Spiegelsaal auf Schloss Versailles ist reichlich Platz. Pandemie bedingt. Wenig später will ich weiterziehen Richtung Bretagne. Noch am Schloss-Ausgang denke ich: „Vive la Révolution!”


Arc de Triumphe enthüllt

Als ich zurückkehre, um auf dem Weg nach Hause noch einmal in Paris zu stoppen, ist das Tuch gelüftet. Am Place Charles de Gaulle hat der 57 Meter hohe Arc de Triomphe seine ursprüngliche Form zurückerhalten. Komplett unverhüllt und in seiner bekannten architektonischen Pracht hat er was. Nicht umsonst ist der Triumphbogen, den Napoleon Bonaparte erbauen ließ, eines der bekanntesten Wahrzeichen von Paris – neben Mona Lisa, Eiffelturm, Champs-Élysées, den Flohmärkten, Montmartre, Notre-Dame und den vielen anderen Plätzen. Hach, Paris, mon amour!


Update:

  • Nach fünfjähriger Restaurierung wurde die Kathedrale Notre-Dame de Paris am 7. Dezember 2024 wiedereröffnet.

  • Sachsen stellt als 1. deutsches Bundesland im Louvre aus. Gezeigt werden ab 13. Mai 2025 Fotografien. Die 22 großformatigen Abbildungen werden einen Monat lang im Eingangsbereich des Museums von der Decke hängen und zeigen Motive aus Sachsen wie etwa das Dresdner Residenzschloss oder das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig.


Katrin Fiedler, geschrieben und fotografiert am 28. September 2021.

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