Bretagne: Sagen, Schätze & Meer

Augen schließen, durchatmen, Anblick genießen: Rauer Wind und schmeichelnde Sonne wechseln sich in der Bretagne ab.

 

Woher weht der Wind in der Bretagne? Was bitte sind Hinkelsteine? Und wo verbrachte Paul Gauguin seine Sommer?

Ein Tag, viel Sonne. Aber auch viel Regen oder gar Sturm. So ist das hier oben an der Atlantikküste. Die Windrichtung bestimmen und sich damit für einen ganzen Tag festlegen, das ist schier unmöglich. Deshalb sollte, wer an der Küste im Nordwesten Frankreichs spaziert, unbedingt ein wetterdichtes Cape bei sich haben. Und noch etwas gehört ins Reisegepäck: Sinn für Entdeckungen - auch im Landesinneren. Schließlich liegen hier wahre Schätze.

Apropos Schatz: Den Comic-Band „Der Sohn des Asterix” (Le Fils d’Astérix) kennt wohl jeder. Wer erinnert sich nicht daran, dass Obelix den Milchmann Appendix mit Hinkelsteinen bezahlen wollte? Appendix konnte mit den unglaublich großen und unglaublich schweren Dingern nichts anfangen. Für Obelix hingegen waren sie ein wertvolles Zahlungsmittel. Verdrossen warf Obelix die Hinkelsteine weg. Noch heute liegen sie in der Landschaft der Bretagne herum. Denken wir nicht darüber nach, welche Kraft der lustige Gallier verwenden musste und ob die Geschichte stimmt. Es ist einfach schön, Legenden zu folgen und sie augenscheinlich zu entdecken. Eine rankt sich um die sagenhaften Menhire (das ist Bretonisch, „men” steht für Stein, „hir” für lang), die noch heute als Formation weithin sichtbar sind – als ein Feld voller hoher und langer Steine nahe Carnac. Mehr als 3.000 dieser gewaltigen Menhire, auch Gräber aus Hinkelsteinen, sollen in dieser Region noch zu sehen sein.

 

Noch eine Legende rund um die Hinkelsteine

Zwischen April und Herbst lohnt es sich besonders, das steinerne Meer unweit des Atlantiks zu besuchen. Die wie unvermittelt in die Landschaft gesetzten Brocken sollen mehr als 7.000 Jahre alt sein. Manche von ihnen reichen bis zu vier Meter in die Höhe. Der Volksmund sagt, es seien erstarrte Soldaten. Fakt ist, dass die Megalithe aus der letzten Stonehenge-Ära stammen. Stimmt es? Laut neuester Forschungen schätzt man, dass die ältesten dieser Steine prähistorisch sind, also älter als die ägyptischen Pyramiden. Dr. Bettina Schulz Paulsson, Professorin an der Universität Göteborg in Schweden, setzt in ihren wissenschaftlichen Arbeiten auf die Theorie, dass die Megalithen erst auf Seewegen nach England gelangten. Sie sind stammen damit aus Frankreich. Genauer: der Bretagne.

Die prähistorischen Plätze sind laut Archäologen ein perfekter Ort für Pilger. Allein fünf beachtliche Großsteingräber gibt es in Locmariaquer, am Golf von Morbihan. Der umgestürzte Grand Menhir Brisé ist der berühmteste. Er gilt als weltweit größter aufrecht stehender Menhir. Mit seinen ursprünglich 20 Metern erreichte er etwa die Höhe eines sechsstöckigen Hauses. Dazu kam das Gewicht von geschätzten 330 Tonnen. Wie er an Ort und Stelle kam? Ein Mysterium, was noch jeden Besucher heute fasziniert und zu diesem Stein zieht, auch wenn dieser Gigant in vier Teile zerbrach.

Übrigens: Ein Hinkelstein wurde früher auch Hünenstein genannt. Also muss - ganz klar - Obelix stark wie ein Riese gewesen sein, als er in seiner Heimat mit den Steinen (seinem Zahlungsmittel) nur so um sich warf. Ein echter Hüne, dieser gewitzte Gallier.

 

Augen- und Gaumenschmaus

An die 2.500 Kilometer misst die Küste der Bretagne. 1.200 Kilometer begrenzen in der Region Finistère das Land vom Wasser und Naturliebhaber wissen: Diese Küsten-Wanderwege gehören zu den schönsten Frankreichs. Von Wind und Meer angenagt sind diese Küstenabschnitte schroff und zergliedert. Stein wechselt sich mit feinstem weißen Sand ab. Diese Farbkontraste geben diesem Meeresabschnitt eine besondere Dramatik. Flussläufe münden in den Atlantik und mischen Süß- mit Salzwasser. Das verleiht übrigens der regionalen Auster einen Haselnussgeschmack. Dazu ein Muscadet, vielleicht auch einen prickelnden Cidre aus einer typisch bretonischen Tasse, und die Welt ist in Ordnung. So muss Urlaub riechen, schmecken und sich anfühlen.

 

Einen Augenblick bitte: Pont-Aven

Die Liebe hat einen Namen – Pont-Aven. Denn hier küsst die Natur die Architektur und das lässt die Seele des Künstlers beben. Wo einst 14 Mühlen aktiv waren, schlängelt sich der Fluss Aven durch den gleichnamigen Ort. Das hat etwas Friedvolles. Kleine Brücken verbinden die Ufer. Texttafeln erleichtern die Entdeckertour und weisen auf die einstigen Blickwinkel der Maler hin. Als Paul Gauguin im 19. Jahrhundert in Pont-Aven drei Sommer verbrachte, muss er schier in Entzückung geraten sein. Nicht ohne Grund wird der Maler genau an diesem bretonischen Ort viele seiner berühmten Werke erschaffen haben. Oberhalb des Liebeswäldchens „Bois d’Amour”, inmitten eines wundervollen Eichen- und Buchenwaldes, birgt die Kapelle von Trémalo ein mehrfarbiges Kruzifix im Kirchenschiff. Ein traditionelles Werk regionaler Holzkunst. Gauguin war derart fasziniert, dass er diesen Anblick malte. Mit „Le Christ jaune” schuf er ein avantgardistisches Meisterwerk. In Anlehnung an das Kruzifix war auch sein Christus gelb. Er wurde in die bretonische Landschaft versetzt und erhielt damit etwas Irdenes. Gauguins weltberühmtes Gemälde ist in der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo, New York, zu sehen.

Kunst, Natur und bretonische Kultur – Gauguin war dem tief verbunden. Mehrfach lebte und arbeitete er in einer bretonischen Künstlerkolonie und entwickelte einen ganz neuen Stil aus leuchtenden Farben und einfachen Formen. Der Meister inspirierte. Ab 1860 suchten viele Maler in Pont-Aven nach Motiven und übten den kunstvollen Pinselstrich. So entstand etwa die Künstlergruppe „Schule von Pont-Aven” unter der Leitung von Gauguin. Und noch heute sieht man Künstler mit ihren Staffeleien im Bois d’Amour Wäldchen oder direkt am Fluss. Ihre Arbeiten werden in den zahlreichen Galerien repräsentiert. Die „alte” Kunst jedoch gibt’s im Stadtzentrum in einem Museum zu sehen. Und die inspirierenden, natürlichen Orte, sind auf einer Wanderroute ausgewiesen. Wer ein Päuschen wünscht, sollte sich Stärkung in einer der Biscuiteries holen. Die Kekse von Pont-Aven sind ein Genuss.

 

Der Wald von Brocéliand

Er liegt westlich von Rennes, im Landesinneren, der Wald von Paimpont. Auch hier gibt es viele Megalith-Steine. Sie wurden genauso wie das reichlich vorhandene Wasser von den Kelten als Kultstätte genutzt. Und es gibt einen dichten Wald, ein magisches Fleckchen Erde. Die Einheimischen nennen es Brocéliande. Und das wiederum hängt mit König Artus zusammen. Niemand kann sich dem Zauber der Artus-Sage entziehen, auch wenn die Wanderung durch diesen mystischen Wald noch so kurz ist. Warum nicht? Ganz einfach. Hier entfaltet sich an zahlreichen Plätzen die ganze Geschichte aus der legendären Tafelrunde und schnell ist man sich sicher, dass eben genau an diesem Platz die Zutat für den berühmten Zaubertrank der Gallier gefunden wurde: der Mistelzweig.

Seit 1820 verehren die Menschen im Osten dieses Waldes die Grabstätte Merlins. Nur wenige Schritte entfernt gurgelt die Quelle der Jugend. Oberhalb des „Tals ohne Wiederkehr” – wie es genannt wird - soll sich das Grab von Fee Viviane befinden, der Geliebten Merlins. Wer sich im Wald westlich hält, kommt am Feenspiegel vorbei. Fast scheint es, als ob Ritter Lancelot auf dem Grund dieses Sees seinen Kristallpalast errichtet hat.

 

Tipp: Zum „Tal ohne Wiederkehr” gehört auch das einsam gelegene Dörfchen Tréhorenteuc (nur 30 Autominuten entfernt) mit einer einzigartigen Kirche. Priester Henri Gillard war es, der die dem Verfall preisgegebenen Kirche neues Leben einhauchte. Er begann 1942 mit der Sanierung und verband in diesem Gotteshaus Glaube und Mythos. So spiegelt sich die König-Artus-Legende nicht nur im großen Glasfenster im Kirchenchor wider. Wer aus der Tür heraustritt, liest unter dem Dach der „Gralskirche” den Satz: „La porte est en dedans” – „Die Tür ist innen drin”.


Katrin Fiedler, geschrieben, fotografiert und verkostet am 1. Oktober 2021.

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