Geh’n wir mal wieder Simmeln?

„Gottchen, was ist das denn nun schon wieder?“, denke ich und werfe meiner Freundin einen Blick über die Schulter. Sie lächelt mir verschwörerisch im Spiegel zurück, malt übers rechte Auge eine schwungvolle schwarze Linie. 

Kino zu. Theater zu. Restaurant hat auch die Schotten dicht. Ich lasse meine Schultern hängen und ziehe den Kopf ein. Dann kommt’s. „Lass uns Simmeln gehen“, sagt sie und zieht ihr türkisfarbenes Jäckchen über die Schultern. Die Farbe steht ihr verdammt gut. Ihre frisch geschminkten Augen blinkern fröhlich. Die Glasperlen an den Ohren leuchten mit dem Jäckchen um die Wette. Die Frisur sitzt. Nix mit Gammellook im Lockdown. Schönheit pur. Ich überlege kurz, ob sie von innen oder außen kommt und schon sind wir durch die Tür, laufen durch Dresden Richtung Albertplatz zum Edeka – zum Simmel-Center.

Nun passiert’s. Das, was zum Alltag gehört, wird ein kulturelles Erlebnis. Der Lebensmitteleinkauf im Markt. Wie ein fröhliches Vögelchen im Frühling hüpft meine Freundin zwischen den Regalen. Ihr türkisfarbenes Jäckchen konkurriert mit den knallroten Tomaten, gelben und orangen Karotten, sattgrünen Salatblättern. Großes Kino. Ihr Korb ist bereits gut gefüllt, und dennoch jauchzt sie über jeden neuen Fund im Regal. Großes Theater.

Wir überlegen ein Menü und sind bereits bei der Gedankenfolge in voller Vorfreude aufs Essen. Wen juckt’s, wenn die Restaurants zu sind!

Auf dem Heimweg sinniert meine Freundin darüber, dass ich schon lange nicht mehr mein knallgrünes Kleid getragen hätte. Wie toll das aussehen würde, zu meinen roten Plastik-Ohrringen. Voll die 60er! „Wozu?“, denke ich. Wir können ja nicht wirklich ausgehen. Und dann kommt’s: „Geh’n wir mal wieder Simmeln?“. Und ich sage voller Vorfreude: „Ja, ich will!“ 


Katrin Fiedler: geschrieben am 9. April 2021

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